//Polemik

In seinem Text „Alles Populäre ist falsch“, der am 6. August in der TAZ erschien, rechnet der Berliner DJ STEFAN GOLDMANN mit der digitalen Revolution ab. Durch die nahezu kostenlose Produktion habe sich ein Vertriebsmodell entwickelt, dass so „ineffizient“ sei, wie keines zuvor. Der Grund: Gegen das Überangebot an Musik habe die menschliche Aufmerksamkeit keine Chance. Da die mentale „Regalfläche“ knapp sei, könne man sich lediglich durch einen Bruchteil der im Netz kursierenden Musik arbeiten. Während die Majors davon profitierten, dass man sich in der Not auf einige Superstars konzentriert, versinke das Mittelfeld im „Rauschen des Überangebots“. Mit Mittelfeld meint GOLDMANN die Indies, die angesichts des Konkurrenzdrucks und des geringen Werbebudgets nicht ausreichend auf ihre Musik aufmerksam machen könnten. Die Folge: Sie müssten dicht machen, da sie kein Geld mehr verdienen.


Eine weitere negative Folge sei die zunehmende Entprofessionalisierung der Musik. Da sich viele MusikerInnen wegen ausbleibender Einnahmen aus den Plattenverkäufen kaum noch professionelle Hilfe für den Ton, die Produktion und die Gestaltung leisten könnten, müssten sie sich selbst um diese Aufgaben kümmern, weswegen nicht mehr genug Zeit für die Musik bliebe. Die Qualität der Musik würde dadurch in Mitleidenschaft gezogen.

Das Web 2.0 als Chance

GOLDMANNS Argumentation hinkt an mehreren Stellen. Sei es, dass er die Filterfunktion von Blogs verkennt oder die Fähigkeit der MusikhörerInnen, mit dem reichen Musikangebot des Web 2.0 zurecht gekommen.

Am Gravierendsten ist jedoch seine Fehleinschätzung der digitalen Revolution. Diese hat viele positive Effekte mit sich gebracht: Da wäre zum einen die Demokratisierung des Musikgeschäfts. Nicht Plattenfirmen und Musikmagazine bestimmen mehr, wer gehört wird und wer nicht, sondern die zahllosen Musikblogs und, was noch viel wichtiger sind, die HörerInnen selbst. Gefällt ihnen ein Album, verlinken sie es auf Facebook und geben den Interpreten Geld, damit diese weitermachen können.

Zum anderen hat das Internet die Partizipation am Musikmarkt deutlich vereinfacht. Digitale Aufnahmeprogramme und  soziale Netzwerke ermöglichen es, Musik nahezu kostenlose zu produzieren und zu vertreiben. Entsprechend scheint die Zahl an Selbstveröffentlichungen seit Beginn des digitalen Zeitalters deutlich gestiegen zu sein. Das Resultat aus dieser Entwicklung ist eine Unabhängigkeit, die den KünstlerInnen des Web 2.0 die Freiheit ermöglicht, die Musik aufzunehmen, die ihnen gefällt. Ob sich das Produkt verkauft oder nicht, ist Nebensache.

Qualität? Ja, bitte!

Die Musikqualität hat ebenfalls nicht nachgelassen. Zumal sowieso fraglich ist, was GOLDMANN unter Qualität versteht: Geht es ihm dabei um den Sound oder um die Musik an sich? Gute Songs werden jedenfalls nach wie vor geschrieben. Und das nicht zu knapp. Zudem gilt noch immer: Ist das Produkt interessant, lässt es sich verkaufen. Daran hat sich auch im digitalen Zeitalter nichts geändert. Im Gegenteil scheint die Qualität dank des „Überangebots“ endlich wieder das wichtigste Kriterium zum Erfolg zu sein. Genau darauf sollte das Augenmerk gelegt werden.

Links: Stefan Goldmann – „Musikmarkt im Netz: Alles Populäre ist falsch“

//Review

Das Berliner Video-Projekt Videokills versteht sich als Plattform für internationale Videokunst. Am Mittwoch fand die fünften Ausgabe der Videokills-Reihe „The Explorer Series: Invisible City Symphonies“ im Marie Antoinette statt, in deren Rahmen Kurzfilme vertont werden.


Der Bogen 47 an der Jannowitzbrücke in Berlin-Mitte hat viele Gesichter. Das ganze Jahr über finden hier Firmenfeten, Hochzeiten und Record-Release-Partys statt. Die Privatveranstaltungen sind aber nicht alles: Der Bogen 47 beheimatet auch die stadtbekannte Musik-Venue Marie Antoinette.

Am Mittwoch flimmerten Stummfilme über die weißen Wänden des bogenförmigen Raums, unterlegt mit Livemusik. Anlass war die fünfte Ausgabe der Videokills-Reihe „The Explorer Series: Invisible City Symphonies“. Die New Yorker Videokünstlerin Julia Hurvich hatte MusikerInnen aus Berlin eingeladen, zeitgenössische Kurzfilme aus ihrer Sammlung zu vertonen.

Das Videokills-Projekt gibt es seit Februar 2009. Damals hatte Hurvich noch zwei Partnerinnen, Emma Pike und Tiphaine Shipman. Gemeinsam organisierten sie mehrere Kurzfilmabende und brachten ihr eigenes Video-Fanzine „The Postraum“ heraus. Videokills sollte eine Vernetzungs- und Ausstellungsplattform für internationale Videokunst sein. 2010 gingen Pike und Shipman zurück nach Australien, seitdem arbeitet Hurvich solo.

Auf sich allein gestellt entwickelte sie ein neues Konzept: Die Live-Vertonung von Kurzfilmen. Inspirieren ließ sie sich von dem russischen Stummfilm „Der Mann mit der Kamera“. Darin hielt der russische Regisseur Dziga Vertov das Leben einer sowjetischen Großstadt fest, es gab weder Handlung noch Schauspieler. Eine ähnlich experimentelle Reproduktion der Atmosphäre der Großstadt ist auch das Ziel der „Invisible City Symphonies“.

Im Juli 2010 fand die erste Ausgabe der Reihe in Brooklyn statt, es folgten Aufführungen in Barcelona und London. Dort arbeitete Hurvich immer mit MusikerInnen aus den jeweiligen Städten zusammen. Der Arbeitsprozess lief dabei jedes Mal gleich ab: Jedem Musiker, den Hurvich für geeignet hält, schickt sie eines ihrer Videos zu. Danach ist alles Vertrauenssache: „Ich höre mir die komponierten Stücke nie vorher an“, berichtet Hurvich. Das sei Teil des Konzepts. Böse Überraschungen habe sie bisher nicht erlebt.

Auch dieses Mal wurde Hurvich nicht enttäuscht. Der Berliner Musiker und Galerist Robin Löhr alias Black2 gab den Auftakt mit seiner Kollage verschiedener Samples selbst gespielter Klavierwerke, die er auf 20 Beats per Minute runterpitchte. Sein Stück komplementiere eindrucksvoll die Schwarz-Weiß-Aufnahmen des Videos „Berlin Found Footage“ der US-amerikanischen Künstlerin Jenna Levine. Den verschiedenen Sequenzen versuchte Löhr ein bestimmtes Sample zuzuordnen.

Eine andere Herangehensweise hatten Kathy Kwon und Molly Morgan. Den Ausgangspunkt ihres Beitrags bildete das Gedicht „On the Difficulty of Imaging an Ideal City“ des Schriftstellers George Perec. Dieses habe „perfekt“ zu dem Inhalt des Videos gepasst, in dem Coney Island zu sehen ist. Das Gedicht, das eine nüchterne Auflistung von verschiedenen Orten ist, an denen der Autor gern leben würde, versuchten sie mit einem „übertrieben sentimentalen“ Instrumentalstück zu kontrastieren. Die Darbietungen wurden durch das Ambiente des Raums hervorragend ergänzt.

(Fotos: Elizabeth Skadden)

Links: videokills / marie antoinette

//Playlist

Welche Songs und Alben begleiten unsere HeldInnen durch ihren Alltag? Diese Frage stellten wir verschiedenen ProtagonistInnen aus der Berliner Musik- und Modeszene. Sie verrieten uns nicht nur, was sie an den entsprechenden Liedern  fasziniert, sondern auch, welche Erlebnisse sie mit ihnen verbinden. Das Resultat dieser Interviews ist unsere neue Serie //Playlist. Den Auftakt gibt der Berliner Musikjournalist, Fotograf und DJ Maximilian Bauer alias Max Dax. Seit kurzem betreut er als Chefredakteur die Telekom-Zeitschrift Electronic Beats Magazine. Dort hat er sich Großes vorgenommen: Gemeinsam mit seinem prominent besetzten Team, zu dem unter anderem der Publizist Hans-Ulrich Obrist zählt, will Max Dax Mediengeschichte schreiben.

Popol Vuh: »In den Gärten Pharaos«

Max Dax: Die deutsche Krautrockband Popol Vuh, die von 1970 bis zum Tod ihres Gründers Florian Fricke 2001 zusammen spielte, hat die Scores für fast alle Filme Werner Herzogs komponiert – darunter »Fitzcarraldo«, »Herz aus Glas« und »Aguirre, der Zorn Gottes«. Auf einer kürzlich veröffentlichten Compilation mit dem Titel »Revisited & Remixed 1970-1999« begegnete ich dem Track »In den Gärten Pharaos« wieder – er stammt vom gleichnamigen Album von 1971. Ich hatte das Stück längst vergessen. Es wiederzuhören war mindblowing, weil es Schlüsse darüber zulässt, was heutiger Musik fehlt: Der Geist der Nichtfunktionaliät. Popol Vuh spielen eine hochinteressante Instrumentalmusik unter Verzicht jeglicher herkömmlicher Melodik – stattdessen hören wir übereinandergeschichtete Layer von Soundflächen und Perkussion. Das 17-minütige Ergebnis eignet sich perfekt für nächtliche Autofahrten durch Bodennebel mit begrenzter Sicht. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes bewusstseinserweiternd.

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Bob Dylan: »Can’t Wait«

Den Song hat Dylan im Juni 2011 in Mailand gespielt. Eine so düstere Performance habe ich von ihm selten zuvor gesehen. Es war, als träfen David Lynch und Screamin‘ Jay Hawkins aufeinander. Dylan war eine vollkommen andere Person in diesem Moment, als sei er ein Medium, über das ein verstorbener schwarzer Musiker mit unserer Welt kommuniziert. Ich war erstaunt zu sehen, wie einfach solcherlei Verwandlungen auf der Bühne offenbar stattfinden können. Wie eine Person, die man schon unzählige Male live gesehen hat, einen so überraschen kann. Die Live-Version hatte im Übrigen gar nichts mehr mit der Albumversion zu tun. So etwas finde ich toll, das ist situative Musik. Diese Verwandlungsfähigkeit ist das, was der Jazz einst hatte und ihm heute fehlt und was auch anderswo kaum noch zu hören ist. Das ist ein Grund dafür, warum mich recorded Musik heute oft langweilt und weswegen ich nichtfunktionale DJ-Sets, in denen es nicht bloß um Beat-Matching geht, sondern um eine Ausweitungen der Kampfzone, oft so faszinierend finde. Dan Snaith ist ein Meister dieser DJ-Methode. Bei seinen Sets ist es möglich, mit der Stimmung mitzugehen.

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Tyler, the Creator: »Goblin«

Die Platte ist genial. Abgesehen von ihrem Bass und ihrer Langsamkeit fasziniert mich ihre sprachliche Ebene. Tylers Texte sind comic-haft verzerrt: Es wird hier gar nicht mehr von Streits berichtet, sondern gleich umgebracht. Solche Darstellungen entbehren jeglicher Relation zur wirklichen Welt. Es handelt sich um Ghetto-Nachrichten in Kunstsprache. Mein persönlicher Höhepunkt der Platte ist der Song »Goblin«, in welchem Tyler unentwegt über Schwule schimpft, sich also so homophob zeigt, wie es schlimmer nicht geht. Irgendwann in der Mitte bemerkt er dann: »By the way: I’m not homophobic«. Das ist fantastisch, ätzend und um die Ecke gedacht zugleich. Tylers Berichterstattung aus dem Ghetto ist so absurd, das man hier von Kunst sprechen kann. Wenn eine Platte ein ›Hub‹ zu neuen Erkenntnissen sein kann, reicht mir das oft schon. Aber wenn die Musik dann auch noch so toll ist, dann kommt alles zusammen. Ich kann mich gar nicht satt hören an Tylers Songs.

(Photo: Luci Lux)

//Empfehlung

Es kursiert das Gerücht, Export aus Berlin beschränke sich nur mehr auf innovative Erfrischungsgetränke und Gentrifizierungsdebatten, wahlweise diskussionslustige Betrunkene und frische Umbauideen. Neue, aufregende Bands aus der Stadt vernimmt man hingegen eher selten. Selbst Neuankömmlinge hört man sagen: „Irgendwie alles so kleinteilig hier.“ Doch nun kommt die Ausnahme: Fenster.

Fenster sind schlichtweg wundervoll und wer sie einmal live erlebt, wird feststellen, dass diese Band alle Erwartungen übertrifft, die sich nach einem Hördurchlauf ihres Albums Bones aufbauen. Schwer zu beschreiben, was da auf der Bühne passiert. Es stimmt einfach alles.

JJ, Jonathan und Lukas halten sich an den Grundsatz „weniger ist mehr“ und schaffen mit minimalen Instrumentierungen und reizenden Zeilen raumfüllende Inszenierungen des Schönen. Nicht zu verwechseln mit kantenlosem Wohlfühlfolk. Fenster wählen mit Bedacht, wann eine karge Banjomelodie durch einen Kanon von Glockenspiel und Keyboardorgel aufgehoben wird, und wann JJs Gesang, der mitunter an Nina Nastasia erinnert, alles wieder umwirft. Spannungsbögen bekommt die Band wohl täglich zum Frühstück kredenzt.

Auf Bones verwandeln sie scheinbar willkürlich zusammenspielende Hintergrundgeräusche zu bezirzenden Liedstrukturen. U-Bahn-Gemurmel, Tambouringerassel und Stimmkaskaden, die auch mal die Wörter Fleet und Foxes im Hinterkopf aufblinken lassen, treten in den Vordergrund, knallende Türen und schepperendes Glas geben den Rhythmus vor.

Der glückliche Umstand „richtige Menschen, richtige Zeit, richtiger Ort“ trifft auf Fenster zu. Denn eins haben sie vielen verwandten Bands voraus: Ihre Musik spielt im Hier und Jetzt, nicht etwa auf amerikanischen Straßen oder in englischen Vororten des letzten Jahrhunderts. Ergo können sie sich dem Erobern von geneigten Herzen gar nicht entziehen, was sich bei jedem ihrer zahllosen Liveauftritte auf’s Neue zeigt.

Wir empfehlen, es uns nachzutun, und sich für Minuten von Fenster entrücken zu lassen. Wenn nicht im gleichen Raum, dann durch Bones, dass man sich hier anhören und kaufen kann.

(Foto: Maxime Ballesteros)

Weitere Links: homepage / facebook



//Sessions

Brooklyn! Nachdem Manhattan nun endgültig zum „playground for the privileged“ (Michael Gira, Mastermind der New Yorker No-Wave-Combo Swans) verkommen ist, zieht es immer mehr MusikerInnen in den Bezirk jenseits der Brooklyn Bridge. Aus der jungen Musikszene Brooklyns sind einige der aufregendsten Acts des letzten Jahrzehnts hervor gegangen: Animal Collective, CocoRosie, LCD Soundsystem, TV on the Radio und MGMT sind die prominentesten VertreterInnen. Außer ihnen gibt es eine Vielzahl neuer und nicht minder interessanter Bands, die dort in der letzten Zeit aus dem Boden geschossen sind. Ihre Namen lauten Woods, Real Estate oder Vivian Girls. Wie Woods-Bassist Kevin Morby im Gespräch mit cartouche. berichtete, hängen die Bands nicht nur miteinander ab, sondern machen wie im Fall seines Nebenprojekts The Babies auch gemeinsam Musik. Für die neue Episode von //Sessions haben wir die Newcomer Dutch Treat und Widowspeak sowie die Szene-Veteranen Woods einmal genauer unter die Lupe genommen.

Am 14. Juni veröffentlichte die Folk-Combo Woods ihr neues Album Sun and Shades. Die 2005 gegründete Band ist ein wichtiger Knotenpunkt in der Lo-Fi-Szene Brooklyns. Auf ihrem 2006 gegründeten Label Woodsist Records erschienen die Debütalben namenhafter Bands und KünstlerInnen wie Kurt Vile, Real Estate, Wavves oder Crystal Stilts. Um den Lo-Fi-Charakter des Labels zu betonen, bringen die Woodsist-Labelmacher alle Aufnahmen auf Kassette raus. Auch das fünfte Album der Woods ist als Tape erhältlich. Auf ihm sind  neben den erstklassigen Folk-Nummern „Any Other Day“ und „Pushing Onlys“ die beiden längeren Instrumental-Stücke „Sol y Sombre“ und „Out of the Eye“ enthalten. Letztere ist eine verspielte Krautrock-Nummer, die in ihren besten Momenten an Neu! und Can erinnert.

Links: woodsist records / mysapce

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Kommen die 50er zurück? Die in dieser Woche auf Captured Tracks erscheinende EP Gun Shy des Trios Widowspeak wirft diese Frage auf. Auf ihr verabschiedet sich die Band vom Shoegaze-Sound ihrer Debüt-EP Harsh Realm und knüpft stattdessen an den nordamerikanischen Rock der 50er-Jahre, genauer: den domestizierten Mittelklasse-Rock von Bands wie The Shadows oder The Ventures, an. Bereits auf dem im März erschienenen Debütalbum Badlands von Alex Zhang Hungtai alias Dirty Beaches finden sich Verweise auf die goldene Ära des Rock. Im Gegensatz zu den staubtrockenen Gitarrenriffs Widowspeaks ist der Sound von Dirty Beaches um einiges psychedelischer. Hungtais Songs klingen wie ein Nachruf auf jene Zeit, als Bill Haley mit seinem „Rock Around the Clock“ dem Rock ’n’ Roll international zum Durchbruch verhalf und Elvis Presley seine weiblichen Fans in Ekstase brachte. Für Pitchfork stellte der Musiker kürzlich ein Tape zusammen, auf das er seine Lieblingssongs aus der Zeit packte. 50’s-Rock scheint also tatsächlich ein Comeback zu erleben.

Links: bandcamp / captured tracks / dirty beaches / dirty-beaches-mixtape

http://www.youtube.com/watch?v=3_l8bp5M6kA

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Weniger Rock mehr Pop gibt es hingegen bei Dutch Treat, deren Musik sehr an die Sarah-Records-Band Heavenly erinnert. Im Internet kursieren von dem 2010 gegründeten Quartett bisher lediglich einige Rough-Mixes und ein Live-Auftritt bei dem New Yorker Radiosender Newton Radio. Ihr Song „Chastitiy“ klingt jedenfalls äußerst vielversprechend. Auch Woods-Bassist hat die Band auf dem Schirm. „Dutch Treat zählt definitiv zu meinen Lieblings-Newcomer-Bands aus New York“, sagte er gegenüber cartouche.

Links: myspace

//Gespräche

Braucht es noch Labels? „Nein“, antwortet Michael Maramag alias Blackbird Blackbird. Im Gespräch mit cartouche erteilt der US-amerikanische Chillwave-Musiker und Label-Chef nicht nur autoritären Labelstrukturen eine Absage, sondern proklamiert zugleich einen tiefgreifenden Wandel in der Musikindustrie und die Renaissance des DIY. Während User, Fans und Musiker das Business nach ihren Vorstellungen gestalteten, könnten Bands sich dank der technischen Möglichkeiten der digitalen Revolution problemlos selbst managen. Alles nur schnöder Verbalradikalismus? Was ist dran an Michael Maramag? 


Michael, inwiefern hat die Digitale Revolution die Musikindustrie verändert?

Michael: Dank des Internets ist die Musikindustrie um einiges demokratischer geworden. Nicht mehr eine kleine Gruppe von Trendsettern bestimmt, was möglich ist und was nicht, sondern Nutzer, Fans und Künstler. Durch ihre aktive Partizipation definieren sie die Musiklandschaft nach ihren Wünschen.

Inwiefern?

Künstler holen sich die Kontrolle über ihre Musik zurück. Niemand will mehr autoritär durchorganisierte Plattenlabels. Sie werden mehr und mehr durch demokratische Künstlerkollektive ersetzt. Das Label UFOLK Records zum Beispiel, das ich mit meinem Freund Austin Wood betreibe, hilft Künstlern dabei sich einen Namen zu machen und überlässt ihnen das Recht mit ihren Aufnahmen zu machen, was sie wollen. Unser Label wird durch die Künstler betrieben und nicht durch irgendwelche geldhunrigen CEOs.

Du hast deine ersten Songs also nicht auf einem Label veröffentlicht?

Nein. Ich brachte meine ersten Songs auf Bandcamp und Myspace raus, kam so ins Gespräch und war wenig später auf Pitchfork. Danach ging alles seinen Weg. Ich habe auch ein paar gute Kontakte zu Blogs, die über meine Musik schreiben.

Du magst also Musikblogs? Auch solche, die nur Rapidshare-Links posten?

Musikblogs sind eine gute Sache, auch wenn die vielen Torrents die Google-Suchergebnisse für mein Album ruinieren. Anstatt auf meine Seite zu kommen, wird man nur auf Download-Foren weitergeleitet. Das nervt! Trotzdem habe ich kein Problem damit, das die Leute meine Musik kostenlos und schnell bekommen können. Ganz im Gegenteil: Ich finde es sogar sehr nützlich.

Wieso?

Es ist schlicht und einfach eine gute Möglichkeit, die eigene Musik zu verbreiten. Du kannst viele neue Hörer gewinnen, wenn du deine Musik verschenkst. Der Wert bemisst sich also nicht an dem verdienten Geld, sondern an den gewonnen Fans.

Wenn es dir nicht ums Geld geht, stellt sich die Frage, wovon du eigentlich lebst?

Ich lebe von meiner Musik, schließlich ist es immernoch möglich Geld damit zu verdienen!

Was ist dafür notwendig?

Du musst dich in verschiedenen Bereichen des Business auskennen. Das Internet kann hierfür ein großartiger Lehrer sein: Bandcamp kann dabei helfen, Statistiken zu verstehen, Tunecore eignet sich hervorragend für den Eigenvertrieb und Soundcloud bietet die Möglichkeit, sich mit anderen Musikern zu vernetzen und Musik mit anderen Leuten zu teilen. Früher übernahmen Manager diese Jobs, heute kann man das selber machen. Großartig, oder?

Das Internet hat also eine entscheidende Rolle gespielt…

Richtig! Der Erfolg vieler Künstler resultierte aus ihrem Verständnis für die Funktionsweisen des Internets. Ein Bewusstsein für die Bedeutung der eigenen Fanbase, ist ein weiterer wichtiger Faktor in der revolutionierten und digitalisierten Musikindustrie unserer Tage.

Links: Blackbird Blackbird

//Gespräche

Im letzten Teil unserer //Gespräche-Reihe unterhielten wir uns mit Chillwave-Ikone Chaz Bundick (Toro y Moi) über die neuen Vermarktungs-Strategien, die sich dank der digitalen Revolution im Musikgeschäft bieten. Sein Geheimrezept lautet: Verschenke deine Musik! Auch der Mike Diaz a.k.a. Millionyoung verbreitete seine Musik kostenlos im Netz. Für den Chillwaver aus Florida steht fest, dass für zeitgenössische Musiker zwei weitere Dinge wichtig sind: Eine treue Fanbase und das Wohlwollen der Blogosphäre.


Mike, du hast deine erste EP Be So True kostenlos im Netz angeboten. Damit bist du nicht der Einzige: Immer mehr Künstler verschenken ihre Musik. Wie erklärst du dir diesen Trend?

Mike: Es macht einfach Sinn! Dank des technischen Fortschritts haben sich die Produktionskosten für Musik so sehr verringert, dass du fast kein Geld mehr aufwenden musst, um eine Platte zu produzieren. Mein Debütalbum und meine EPs habe ich in meinem Schlafzimmer am Laptop aufgenommen. Da ich also so gut wie keine Ausgaben bei der Produktion hatte, war es kein Problem, die Musik zu verschenken.

Plattenverkäufe sind ja sowieso nur noch für größere Bands eine wirkliche Existenzgrundlage…

Das stimmt. Bands wie Radiohead können auf ihre treuen Anhänger zählen, die sie finanziell unterstützen. Leute zu finden, die deine Platten kaufen, ist im Zeitalter illegaler Downloads äußerst schwierig geworden. Trotzdem gibt es sie. Ich persönlich kann mich auf meine Fans verlassen: Sie kaufen meine Platten und kommen zu meinen Konzerten. Ihre Unterstützung reicht aus, damit ich weiter machen kann.

Wie hältst du den Kontakt zu deinen Fans?

Entweder hänge ich mit ihnen auf meinen Konzerten ab oder auf Facebook. Es ist mir sehr wichtig, eine starke Verbindung zu den Leuten zu haben, die meine Musik mögen. Hier war das Internet mit seinen unzähligen Blogs und Plattformen sehr hilfreich. Trotzdem habe ich mich nie danach gefühlt, zu twittern, was es bei mir zum Frühstück gab.

Das Internet hat also die Kommunikation vereinfacht. Wie sieht es mit der Verbreitung von Musik aus?

Die ist auch viel einfacher geworden. Nehmen wir die zum Beispiel die Mundpropaganda, die durch das Netz wesentlich globaler geworden ist. Viele Bands müssen heute nur noch ihre Musik an Blogs weiterreichen und dabei zuschauen, wie ihre Hörerschaft von ganz alleine wächst. Die virale Verbreitung von Musik ist ein absolutes Novum.

Du magst also Musikblogs?

Nicht unbedingt. Sagen wir es so: Ich trete ihnen mit gemischten Gefühlen entgegen. Auf der einen Seite finde ich es toll, dass Musiknerds ihre Leidenschaft mit anderen Personen auf ihren Blogs teilen. Wenn die Leser dieser Blogs die dort heruntergeladene Musik auch kaufen würden, wäre das echt super. Leider sieht die Realität meistens anders aus.

Diesem Manko zum Trotz: Würdest du sagen, dass du ohne das Internets mit seinen Vorzügen einen ähnlichen Erfolg gehabt hättest?

Ich denke schon. Aber es hätte sicher länger gedauert.

Links: millionyoung

(Foto: Andy J. Scott)