Over The Shoulder

Auf den Hund kommen: heißt Männchen machen. Diese Sprache!

So darf man diese schmalen, farbenfrohen Bände vor allem als Angebote lesen, als immer wieder neue Aufforderung, sich der altmodischen Verlockung der Literatur anzuvertrauen, die verspricht, mit ihren Lesern in fremde Sphären zu reisen. 1

Da wird es bunt. Wie viele Bände schmeißen wir uns heute? Lassen wir das. Drogen sind, Bücher sind, Computerspiele sind asozial. Muss es aber nicht heißen, mit Büchern in fremde Sphären reisen? Ganz klassisch, Urlaubslektüre. Zentrale Frage: Was nehme ich mit?

Schreiben übers Lesen. Gelesenes abschreiben. Es ist einfach, sich mit fremden Federn zu schmücken (Guttenberg). Doch was ist ein Zitat?

Negative Autobiographie. 2

Ich erscheine, indem ich verschwinde. Ins positive gewendet:

Was mir fehlt, ist das richtig?, ist das falsch?, das ist der Mut zur KONSEQUENZ DES PATHOS. Lieber täte ich mich jedenfalls als den peinlichsten PathetSepp anschimpfen lassen, als daß ich mich zu einem NieNixFalschSchrei- ber hochloben lassen möcherte, der immer recht schön recht hat. Recht haben und schön auf der richtigen Seite stehen, dass schafft ja noch der letzte rechte Hand- schuh, aber mir ist das so wurscht, das glaubt ihr nicht, weil ich was viel was Schwereres mit der Arbeit herausarbeiten muß, nämlich die Wahrheit von allem. 3

Ja, Wahrheit.

Gibt‘s nicht,

sagen die Väter,

sagen die Väter,

die Wahrheit.

„Doch“, entgegne ich.

„Gibt es, und zwar meine“.

So vergingen die Tage, die Minuten. So las ich und schrieb und fuhr dann fort.

Auch der Mangel an Büchern war ihm oft sehr hinderlich. Er konnte, ja er wollte das nicht benutzen, was Andre über diese oder jene Materie bereits geschrieben hatten und sein Scharfsinn ermattete daher zuweilen bei schon von Andern gemachten Entdeckungen. 4

Warum lese ich eigentlich jetzt zum ersten mal und nur als Experiment formuliert so etwas:

Das ist ein super Album, um Analsex mit der Nachbarin zu haben, nachdem man zwei Tage wach war?

Es kann doch dem Leser, lese ich

weiter,

mehr über die Musik sagen (..) als das unaufhörliche Nerd-Gewichse männlicher Musikjournalisten Ende 30, die an ihren freien Wochenenden allen Ernstes unter ihrem Autorennamen auflegen 5.

Der Text muss die Party sein. 6

Muss er? Kann er?

Das Nachtleben ist sehr wohl auch ein Ort des Unglücks, der Reflexion auf Empfindungen der Alienation, des Ausgeschlossenseins vom Kollektiv und der hier eindeutig unangenehmen Erfahrung von individuellem Anderssein. 7

Produktive Umkehrung: Fangen wir beim Ich an. Es geht um Film (beispielsweise):

Ich glaube… 8 ,

Ich weiß nicht… 9.

Ich sehe was, was Du nicht siehst. Ich kenne mich selbst am besten, also will ich über mich reden. Ich muss ja nicht das Ausweis-Ich sein. Masken-Spiele spielen, zur Feier der Objektivität

Man verkleidet sich nicht nur, um sich zu verbergen. Ebenso verkleidet man sich, um gesehen zu werden. 10

Oder:

Ich setz die Maske auf und schock die Welt Ich geb‘n Fick ob‘s Euch gefällt. 11

Buch des Monats:

Hipster. Eine transatlantische Diskussion, Berlin 2012 12 .

Überall Gutfindekartelle 13. Mission: Kritik + Ablehnung. Oberthema der Rede zur Lage der Nation. Aber hilft das? Orientierungsschwierigkeiten 2012 wie 1986:

Der EINBRUCH DER IDYLLE in das stete Grauen erschien als testenswerte Arbeitshypothese. Dann aber hieß der Optimismus plötzlich Kohl und nicht Dante. Logisch wollte ich jetzt rufen: Sieg den grünen Struppis! Und ich hatte keine rechte Lust mehr, Peinsäcke zu verdreschen. Alles eine Riesenscheiße. Doch was jetzt? Gegen diesen ganzen dicken dummen dreisten Durchblick ist die nächste Strategie der Subversion vielleicht die WendenWende: ätzender Irrtum. 14

Wofür also einstehen? Modelle checken:

im jahre neunzehnhundertsechsundachtzig, am zweiundzwanzigsten september, dem tag des heiligen mauritius, betrat ich die deutsche demokratische republik. ich war, fast auf den monat genau, zwanzig jahre im westen gewesen. ich war sechsundzwanzig jahre alt. ich schleppte die drei schwersten koffer in den raum wo die grenze ist, die genossin sah auf mein papier und sagte: da studieren sie jetzt also bei uns, und ich war da.der zug nach leipzig kam aus binz. die leute im abteil lasen westbücher. ich bins! 15

Die Geschichte aber lief derweil weiter. Zentrale Frage: Was nehme ich mit?

DON‘T CRY WORK! 16

***

PHILIPP GOLL schreibt für taz und HATE.

Quellenverweise:

1 Lena Bopp, „Sirenengesänge aus der Nische“, in: FAZ, 10.11.2011, S. 30.

2 Stefan Ripplinger, „Return to Sender. Über Uwe Nettelbecks Zitatmontagen“, Kultur & Gespenster, Nr. 7 (Herbst 2008), S. 73-97, hier S. 84.

3 Rainald Goetz, Irre, Frankfurt a.M.1986, S. 330.

4 Karl Friedrich Klischnig über Karl Philipp Moritz (1794). Zitiert nach: Uwe Nettelbeck, Karl Philipp Moritz, Ein Lesebuch, Nördlingen 1986, S. 27.

5 LauraEwert, „Ich komme nicht los von mir

6 Zitiert nach einer mündlichen Auskunft von Stefanie Peter über Claudius Seidl.

7 Rainald Goetz, Klage, Frankfurt a.M. 2008, S. 63.

8 Uwe Nettelbeck, „Die Legende vom Guten alten Westen“, in: Uwe Nettelbeck. Keine Ahnung von Kunst und wenig vom Geschäft. Filmkritik 1963-1968, Hamburg 2011, S. 38.

9 Uwe Nettelbeck, „Jean-Luc Godards Film über den Tod, in: Uwe Nettelbeck. Keine Ahnung von Kunst und wenig vom Geschäft. Filmkritik 1963-1968, Hamburg 2011, S.160.

10 Stefanie Peter, Wozu Masken? Ethnologische Anmerkungen zu einer Faszinationsgeschichte

11 Sido, Die Maske, Maske, Aggro Berlin 2004.

12 Blog des Interview-Magazins, 26.1.2012.

13 Tobias Rapp, „Auch das noch – die Avantgarde verlässt Berlin“, in: taz, 18.9.2008, S.17.

14 Rainald Goetz, Irre, Frankfurt a.M.1986, S. 331.

15 Ronald M. Schernikau, Die Tage in L., 2. Aufl., Hamburg 2001, S. 13.

16 Cover von Rainald Goetz, Irre, Frankfurt a.M. 1986.