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Mit experimenteller Musik Geld zu verdienen, ist nicht einfach. Viele Konzerträume in Berlin machen daher bei der Planung ihres Programms einen großen Bogen um Bands, die mit ihrer Arbeit neue Klangräume erschließen. Seit 2007 gibt es in Berlin die Musikbar Madame Claude, die genau diesen MusikerInnen ein Zuhause bietet. Im Gespräch mit cartouche. berichteten die Barbetreiber, wie sie das Finanzierungsproblem lösten ohne dabei Kompromisse eingehen zu müssen.


„Wir spielen Musik, die sonst keiner will“, sagt Jean-Christophe Simon. Treffender hätte der französische Konzertveranstalter das Programm seiner Bar Madame Claude kaum beschreiben können. Gerade mal drei Jahre alt, ist die Bar mit ihrem Musikkeller nicht nur eine feste Größe in der Berliner Alternativ-Szene, sondern auch ein wichtiger Anlaufpunkte für experimentelle Musiker aus Amerika, Australien und Europa. Auf der Bühne der Bar, die sich in den Räumen eines ehemaligen Bordells in der Nähe des Schlesischen Tors befindet, stehen vor allem jene Bands, die für die größeren Konzerträume Berlins nicht kommerziell und bekannt genug sind.

Als Madame Claude im Februar 2008 öffnete, gab es in Berlin kaum legale Konzerträume für unkonventionelle Musik. Der Bastard und die zentrale Randlage waren seit Kurzem geschlossen, lediglich die Kollektive des Schokoladens und des West Germany interessierten sich für internationale KünstlerInnen aus experimentellen Stilrichtungen wie Drone, Noise oder Anti-Folk. Da sich Konzerte in Berlin erst ab 300 Zuschauern lohnen, ließen viele größere Lokale die Hände von Bands, die in der Stadt nicht weiter bekannt waren. Avantgardistisch zu sein brachte eben noch nie das große Geld. Dieses Problem lösten Simon und seine drei Mitstreiter Julien Bouille, Sebastien Becote und Sylvain Livache mit einem Konzept, das man unter anderem aus Berliner Hausprojekten und Galerien kennt: Mit den Einnahmen aus der Bar schafften sie die Grundlage für ihre Konzerte. „Das war in unseren Augen die einzige Möglichkeit, legal kleinere Bands nach Berlin zu holen“, berichtet Simon.

Die Idee ging auf. Inzwischen ist Madame Claude auch über die Grenzen Berlins hinaus bekannt. Angesagte KünstlerInnen wie die Berufsexzentrikerin Kevin Blechdom oder Animal-Collective-Gitarrist Deakin spielten in der Musikbar genauso wie viele kleinere Acts aus Australien, Italien oder Frankreich. In der Bar Madame Claude konnten sich die MusikerInnen sicher sein, auf ein größeres und aufgeschlossenes Publikum zu treffen, selbst wenn sie eine halbe Stunde lang nur einen einzigen Ton spielten. Inzwischen laufen pro Woche vier Konzerte mit anschließendem DJ-Set. Bouille, der für das Booking zuständig ist, bekommt pro Tag 20 bis 40 Konzertanfragen. Für die Konzerte gibt es keinen festen Preis. „Die Leute sollen zahlen, was sie können. Dafür bieten wir ihnen das Beste, was wir können“, erläutert Bouille.

Ende 2010 eröffnete das Kollektiv einen externen Konzertraum an der Jannowitz-Brücke: Marie Antoinette. Dort passen nicht nur mehr Leute rein, die Bands haben im Gegensatz zur Bar Madame Claude auch die Möglichkeit, ein Schlagzeug zu benutzen. Um den Raum zu finanzieren, wird er auch an Hochzeitsgesellschaften oder Tanzschulen vermietet. Im Marie Antoinette waren bereits die Lo-fi-Veteranen Owen Ashworth alias Casiotone for the Painfully alone und Ariel Pink zu Gast.

Durch ihre Arbeit haben sich Simon und seine drei Mitstreiter ein kleines Netzwerk aufgebaut. Zum einen sind sie mit den BetreiberInnen des West Germany, Antje Öklesund und Schokoladen befreundet, mit denen sie gemeinsam auf Konzerte gehen. Zum anderen zählen zum Freundeskreis des Kollektivs eine ganze Reihe von MusikerInnen, die schon öfter bei Madame Claude und Marie Antoinette gespielt haben. Die Noise-Popper von Ditto Destroyer, Velvet Condom oder Ania et le Programmeur sind gern gesehene Gäste und gehören zu den interessantesten Acts der Experimental-Szene. Einige Mitglieder dieser Bands arbeiten sogar in der Bar, putzen dort den Boden oder stehen hinterm Tresen, um sich für ihre Kunst etwas dazuzuverdienen. „Damit ermöglichen wir den Musikern, in Berlin zu bleiben und die Musik zu machen, die sie wollen“, resümiert Simon. So wird die Bar Madame Claude tatsächlich dem eigenen Anspruch gerecht: ein Zuhause für Musik zu sein, die sonst keiner will.

Links: madame claude / marie antoinette / west germany / schokoladen / antje öklesund / ditto destroyer / velvet condom / ania et le programmeur

(Fotos: JJ WEIHL / MADAME CLAUDE)