Gespräche

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DER ERSTE MENSCH, DER MUSIK MACHT

Ob sich aus jeder Lüge ein eigenes Universum schält, in dem diese Lüge dann wahr ist, und ob ich Alexander Winkelmann nun wegen des rauhen Berliner Oktoberwindes, einer kaum mehr nachzuvollziehbaren Kette verschiedener Ereignisse – oder doch nur einfach so – auf einem Konzert des schottischen Performancekünstlers Momus kennengelernt habe, kann ich an dieser Stelle leider nicht weiter ausführen. Ich sollte lieber gleich auf den Punkt kommen. Auf den ersten Treffen fiel mir an dem jungen Berliner die fast schon übertriebene Höflichkeit auf, aber noch erstaunter war ich seltsamerweise darüber, dass er darauf zu bestehen schien, bei seinem vollen Namen, Alexander, gerufen zu werden. Die extreme Höflichkeit stellt sich bald als natürlicher Wesenszug, als absolut unaufgesetzt heraus, und man kann sich nur darüber wundern, wieso diese ausgesprochene Höflichkeit, die ja so vollkommen natürlich ist, nicht von allen Menschen in dieser Weise gepflegt wird. Man wusste bald, dass es auch okay war, ihn einfach „Alex“, gerne auch „Ali“ zu rufen, bloß „Winkelmann“ habe ich bisher noch niemanden sagen hören. Obwohl er selbst sehr gerne seinen Familiennamen benutzt, er hat aus diesem ein Symbol gemacht, das aussieht wie eine menschliche Triangel.

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//Sessions

Brooklyn! Nachdem Manhattan nun endgültig zum „playground for the privileged“ (Michael Gira, Mastermind der New Yorker No-Wave-Combo Swans) verkommen ist, zieht es immer mehr MusikerInnen in den Bezirk jenseits der Brooklyn Bridge. Aus der jungen Musikszene Brooklyns sind einige der aufregendsten Acts des letzten Jahrzehnts hervor gegangen: Animal Collective, CocoRosie, LCD Soundsystem, TV on the Radio und MGMT sind die prominentesten VertreterInnen. Außer ihnen gibt es eine Vielzahl neuer und nicht minder interessanter Bands, die dort in der letzten Zeit aus dem Boden geschossen sind. Ihre Namen lauten Woods, Real Estate oder Vivian Girls. Wie Woods-Bassist Kevin Morby im Gespräch mit cartouche. berichtete, hängen die Bands nicht nur miteinander ab, sondern machen wie im Fall seines Nebenprojekts The Babies auch gemeinsam Musik. Für die neue Episode von //Sessions haben wir die Newcomer Dutch Treat und Widowspeak sowie die Szene-Veteranen Woods einmal genauer unter die Lupe genommen.

Am 14. Juni veröffentlichte die Folk-Combo Woods ihr neues Album Sun and Shades. Die 2005 gegründete Band ist ein wichtiger Knotenpunkt in der Lo-Fi-Szene Brooklyns. Auf ihrem 2006 gegründeten Label Woodsist Records erschienen die Debütalben namenhafter Bands und KünstlerInnen wie Kurt Vile, Real Estate, Wavves oder Crystal Stilts. Um den Lo-Fi-Charakter des Labels zu betonen, bringen die Woodsist-Labelmacher alle Aufnahmen auf Kassette raus. Auch das fünfte Album der Woods ist als Tape erhältlich. Auf ihm sind  neben den erstklassigen Folk-Nummern „Any Other Day“ und „Pushing Onlys“ die beiden längeren Instrumental-Stücke „Sol y Sombre“ und „Out of the Eye“ enthalten. Letztere ist eine verspielte Krautrock-Nummer, die in ihren besten Momenten an Neu! und Can erinnert.

Links: woodsist records / mysapce

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Kommen die 50er zurück? Die in dieser Woche auf Captured Tracks erscheinende EP Gun Shy des Trios Widowspeak wirft diese Frage auf. Auf ihr verabschiedet sich die Band vom Shoegaze-Sound ihrer Debüt-EP Harsh Realm und knüpft stattdessen an den nordamerikanischen Rock der 50er-Jahre, genauer: den domestizierten Mittelklasse-Rock von Bands wie The Shadows oder The Ventures, an. Bereits auf dem im März erschienenen Debütalbum Badlands von Alex Zhang Hungtai alias Dirty Beaches finden sich Verweise auf die goldene Ära des Rock. Im Gegensatz zu den staubtrockenen Gitarrenriffs Widowspeaks ist der Sound von Dirty Beaches um einiges psychedelischer. Hungtais Songs klingen wie ein Nachruf auf jene Zeit, als Bill Haley mit seinem „Rock Around the Clock“ dem Rock ’n’ Roll international zum Durchbruch verhalf und Elvis Presley seine weiblichen Fans in Ekstase brachte. Für Pitchfork stellte der Musiker kürzlich ein Tape zusammen, auf das er seine Lieblingssongs aus der Zeit packte. 50’s-Rock scheint also tatsächlich ein Comeback zu erleben.

Links: bandcamp / captured tracks / dirty beaches / dirty-beaches-mixtape

http://www.youtube.com/watch?v=3_l8bp5M6kA

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Weniger Rock mehr Pop gibt es hingegen bei Dutch Treat, deren Musik sehr an die Sarah-Records-Band Heavenly erinnert. Im Internet kursieren von dem 2010 gegründeten Quartett bisher lediglich einige Rough-Mixes und ein Live-Auftritt bei dem New Yorker Radiosender Newton Radio. Ihr Song „Chastitiy“ klingt jedenfalls äußerst vielversprechend. Auch Woods-Bassist hat die Band auf dem Schirm. „Dutch Treat zählt definitiv zu meinen Lieblings-Newcomer-Bands aus New York“, sagte er gegenüber cartouche.

Links: myspace