//Review

Das Berliner Video-Projekt Videokills versteht sich als Plattform für internationale Videokunst. Am Mittwoch fand die fünften Ausgabe der Videokills-Reihe „The Explorer Series: Invisible City Symphonies“ im Marie Antoinette statt, in deren Rahmen Kurzfilme vertont werden.


Der Bogen 47 an der Jannowitzbrücke in Berlin-Mitte hat viele Gesichter. Das ganze Jahr über finden hier Firmenfeten, Hochzeiten und Record-Release-Partys statt. Die Privatveranstaltungen sind aber nicht alles: Der Bogen 47 beheimatet auch die stadtbekannte Musik-Venue Marie Antoinette.

Am Mittwoch flimmerten Stummfilme über die weißen Wänden des bogenförmigen Raums, unterlegt mit Livemusik. Anlass war die fünfte Ausgabe der Videokills-Reihe „The Explorer Series: Invisible City Symphonies“. Die New Yorker Videokünstlerin Julia Hurvich hatte MusikerInnen aus Berlin eingeladen, zeitgenössische Kurzfilme aus ihrer Sammlung zu vertonen.

Das Videokills-Projekt gibt es seit Februar 2009. Damals hatte Hurvich noch zwei Partnerinnen, Emma Pike und Tiphaine Shipman. Gemeinsam organisierten sie mehrere Kurzfilmabende und brachten ihr eigenes Video-Fanzine „The Postraum“ heraus. Videokills sollte eine Vernetzungs- und Ausstellungsplattform für internationale Videokunst sein. 2010 gingen Pike und Shipman zurück nach Australien, seitdem arbeitet Hurvich solo.

Auf sich allein gestellt entwickelte sie ein neues Konzept: Die Live-Vertonung von Kurzfilmen. Inspirieren ließ sie sich von dem russischen Stummfilm „Der Mann mit der Kamera“. Darin hielt der russische Regisseur Dziga Vertov das Leben einer sowjetischen Großstadt fest, es gab weder Handlung noch Schauspieler. Eine ähnlich experimentelle Reproduktion der Atmosphäre der Großstadt ist auch das Ziel der „Invisible City Symphonies“.

Im Juli 2010 fand die erste Ausgabe der Reihe in Brooklyn statt, es folgten Aufführungen in Barcelona und London. Dort arbeitete Hurvich immer mit MusikerInnen aus den jeweiligen Städten zusammen. Der Arbeitsprozess lief dabei jedes Mal gleich ab: Jedem Musiker, den Hurvich für geeignet hält, schickt sie eines ihrer Videos zu. Danach ist alles Vertrauenssache: „Ich höre mir die komponierten Stücke nie vorher an“, berichtet Hurvich. Das sei Teil des Konzepts. Böse Überraschungen habe sie bisher nicht erlebt.

Auch dieses Mal wurde Hurvich nicht enttäuscht. Der Berliner Musiker und Galerist Robin Löhr alias Black2 gab den Auftakt mit seiner Kollage verschiedener Samples selbst gespielter Klavierwerke, die er auf 20 Beats per Minute runterpitchte. Sein Stück komplementiere eindrucksvoll die Schwarz-Weiß-Aufnahmen des Videos „Berlin Found Footage“ der US-amerikanischen Künstlerin Jenna Levine. Den verschiedenen Sequenzen versuchte Löhr ein bestimmtes Sample zuzuordnen.

Eine andere Herangehensweise hatten Kathy Kwon und Molly Morgan. Den Ausgangspunkt ihres Beitrags bildete das Gedicht „On the Difficulty of Imaging an Ideal City“ des Schriftstellers George Perec. Dieses habe „perfekt“ zu dem Inhalt des Videos gepasst, in dem Coney Island zu sehen ist. Das Gedicht, das eine nüchterne Auflistung von verschiedenen Orten ist, an denen der Autor gern leben würde, versuchten sie mit einem „übertrieben sentimentalen“ Instrumentalstück zu kontrastieren. Die Darbietungen wurden durch das Ambiente des Raums hervorragend ergänzt.

(Fotos: Elizabeth Skadden)

Links: videokills / marie antoinette

//Empfehlung

Es kursiert das Gerücht, Export aus Berlin beschränke sich nur mehr auf innovative Erfrischungsgetränke und Gentrifizierungsdebatten, wahlweise diskussionslustige Betrunkene und frische Umbauideen. Neue, aufregende Bands aus der Stadt vernimmt man hingegen eher selten. Selbst Neuankömmlinge hört man sagen: „Irgendwie alles so kleinteilig hier.“ Doch nun kommt die Ausnahme: Fenster.

Fenster sind schlichtweg wundervoll und wer sie einmal live erlebt, wird feststellen, dass diese Band alle Erwartungen übertrifft, die sich nach einem Hördurchlauf ihres Albums Bones aufbauen. Schwer zu beschreiben, was da auf der Bühne passiert. Es stimmt einfach alles.

JJ, Jonathan und Lukas halten sich an den Grundsatz „weniger ist mehr“ und schaffen mit minimalen Instrumentierungen und reizenden Zeilen raumfüllende Inszenierungen des Schönen. Nicht zu verwechseln mit kantenlosem Wohlfühlfolk. Fenster wählen mit Bedacht, wann eine karge Banjomelodie durch einen Kanon von Glockenspiel und Keyboardorgel aufgehoben wird, und wann JJs Gesang, der mitunter an Nina Nastasia erinnert, alles wieder umwirft. Spannungsbögen bekommt die Band wohl täglich zum Frühstück kredenzt.

Auf Bones verwandeln sie scheinbar willkürlich zusammenspielende Hintergrundgeräusche zu bezirzenden Liedstrukturen. U-Bahn-Gemurmel, Tambouringerassel und Stimmkaskaden, die auch mal die Wörter Fleet und Foxes im Hinterkopf aufblinken lassen, treten in den Vordergrund, knallende Türen und schepperendes Glas geben den Rhythmus vor.

Der glückliche Umstand „richtige Menschen, richtige Zeit, richtiger Ort“ trifft auf Fenster zu. Denn eins haben sie vielen verwandten Bands voraus: Ihre Musik spielt im Hier und Jetzt, nicht etwa auf amerikanischen Straßen oder in englischen Vororten des letzten Jahrhunderts. Ergo können sie sich dem Erobern von geneigten Herzen gar nicht entziehen, was sich bei jedem ihrer zahllosen Liveauftritte auf’s Neue zeigt.

Wir empfehlen, es uns nachzutun, und sich für Minuten von Fenster entrücken zu lassen. Wenn nicht im gleichen Raum, dann durch Bones, dass man sich hier anhören und kaufen kann.

(Foto: Maxime Ballesteros)

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