//Portrait


Es ist noch früh am Morgen, als VLADIMIR KARALEEV mit einem Becher Kaffee in der Hand aus einem schwarzen Taxi steigt. Der rote Teppich, der zu dem großen weißen Zelt führt, wird gerade erst ausgerollt. Am Eingang haben sich die muskelbepackten Securities bereits in Stellung gebracht, deren tiefschwarze Anzüge das Licht der aufgehenden Sonne reflektieren. Auch die ersten Models sind schon eingetroffen und suchen verschlafen aussehend die Garderobe. Gefolgt von seinen beiden Assistentinnen betritt auch KARALEEV das Innere des Zeltes. Drei Stunden bleiben ihm noch, um seine Show vorzubereiten. Alles muss sitzen, schließlich ist seine Präsentation eine der gefragtesten der BERLIN FASHION WEEK 2011.

Noch vor zehn Jahren hätte er sich diesen Erfolg nicht träumen lassen. Damals, als er nach Berlin kam, um an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Mode zu studieren, wollte VLADIMIR KARALEEV lediglich der gesellschaftlichen Enge seines Geburtslandes Bulgarien entfliehen und seine Träume verwirklichen. 1981 in Sofia geboren, kam er schon früh mit der Mode in Berührung. Oft  schaute er seiner Tante beim Nähen zu. Er war fasziniert davon, was sie aus ihren vielen unterschiedlichen Stoffen herstellte. Wenig später, im Alter von 14 Jahren, entwarf er bereits seine eigenen Outfits, zunächst nur für seine  Freunde, die sie auf Rave-Partys trugen. Regenmantelstoffe, Riesenhüte und Shirts mit Alien-Prints darauf, das waren seine ersten Kreationen. Sein liebstes Ensemble waren BJÖRK, GOLDIE und GAULTIER.

Die Musik beginnt, die Klänge des Stücks „I’m in Love with a German Film Star“ der britischen  Dream-Pop-Combo THE PASSIONS wabern durch den schwarzen Raum, den das Scheinwerferlicht in gelbes Licht taucht. Eines nach dem anderen betreten die Models die Bühne, die sich aus acht würfelförmigen Podesten zusammensetzt. Statt steifen, skulptural wirkenden Stücken tragen sie Kleider, die zu zerfallen scheinen und dabei von einer eigenen, eindrücklichen Schönheit sind. Das Geheimnis der Konstruktion der Kleider wird dem Betrachter nur durch KARALEEVS raffiniertes Layering offenbart, durch das an einzelnen Stellen das Futter durchblitzt. Charakteristischen Elementen wie Reißverschlüsse, Bündchen und Taschen beraubt der Designer ihrer eigentlichen Funktion, wodurch ihr ästhetisches Potential in den Vordergrund tritt. Trotz der statischen Präsentation scheinen die leicht fließenden Stoffe ständig in Bewegung zu sein und sich im Licht zu wandeln.

Bereits ab 1994 sah er die Mode nicht mehr als etwas Praktisches an sondern als Ausdrucksmittel – als eine Art Kunst. Diese Perspektive verdankte er seinem großen Vorbild JEAN PAUL GAULTIER. KARALEEV war begeistert von der Gewagtheit des französischen Modeschöpfers, seinen seltsamen Schuhen, den verrückten Drucken und den zerrissenen Kleidern. KARALEEVS Markenzeichen sind die bewusst offen gelassenen Säume der Kleidung. Wie er im Interview mit SPEX berichtet, seien diese für ihn verzichtbar, da sie den Kleidern eine gewisse Schwere verliehen. Die losen Fäden, die von den offenen Enden herunter hängen, verwirren im ersten Moment. Oft schon, erzählt KARALEEV, hätten ihn seine Kunden gefragt, ob die einzelnen Stücke schon fertig genäht seien. Dem Vorwurf, seinen Schnitten mangele es an Qualität, entgegnet der Designer, dass seine Kleider sauber und professionell verarbeitet sind. Das Ziel seiner Arbeit ist klar definiert: Sie soll die Kleidung vereinfachen. Überdesignte Mode ist nicht sein Stil.

Die gelben Scheinwerfer strahlen den Models in ihr blass geschminktes Gesicht. KARALEEV selbst ist in einen dunklen Schatten gehüllt. In der Nähe des Ausgangs steht er an einer Trennwand gelehnt, von der aus er konzentriert das Geschehen beobachtet. Man kann die Silhouette seiner großen, schlaksigen Figur nur erahnen. Als eine Kamera auf sein Gesicht gerichtet wird, scheint es sich für einen kurzen Moment zu verdunkeln. Der ganze Trubel, die Presse, das Blitzlichtgewitter – das alles ist nicht seine Welt. Er selbst sieht sich als „Createur“, nicht als Modestar. Entsprechend wirkt er etwas scheu, nicht so introvertiert wie CONSUELO CASTIGLIONI, die schüchterne Gründerin des Labels MARNI, aber man merkt sofort, dass er nicht gern im Rampenlicht steht. Genau diese zurückhaltende Art und das Leuchten in seinen Augen, wenn der ganze Raum zum Finale applaudiert, machen ihn so liebenswert. Es reißen sich seit seinem ersten Fashion Week Auftritt alle Leute um ihn. Noch am selben Abend steht VLADIMIR KARALEEV wieder in seinem Studio. Hier fühlt er sich zuhause.

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(Foto: PETROV AHNER)