Als rockaffiner Teenager kommt man an NIRVANA nur schwer vorbei. Ich selbst war 15 Jahre alt, als ich die Band für mich entdeckte. Die rohe Gewalt ihres Debütalbums Bleach gab mir genau das, was ich damals brauchte. Einen Winter lang interessierte mich nichts anderes. Ich las COBAINS Tagebücher, zwei Biographien und sah mir auf MTV sämtliche Dokumentationen über die Band an. Dabei stieß ich auch auf den Film „1991 – The Year Punk Broke“ von DAVE MARKEY, der während der legendären Tour von NIRVANA, SONIC YOUTH, DINOSAUR JR. und den RAMONES durch Europa im August 1991 aufgenommen wurde. An den Film heranzukommen gestaltete sich damals äußerst schwierig, da die VHS nicht mehr verkauft wurde. Das hat sich jetzt zum Glück geändert: 20 Jahre nach ihrer Veröffentlichung erscheint MARKEYS Dokumentation endlich auf DVD.
MARKEYS Film lohnt sich allein schon wegen der Szenen mit KURT COBAIN. Wir schauen dem Sänger dabei zu, wie er sich, sichtlich vergnügt, von SONIC-YOUTH-Bassistin KIM GORDON schminken lässt. Oder sich lachend auf dem Boden eines Backstage-Raums wälzt. Der KURT COBAIN aus MARKEYS Film ist das krasse Gegenteil des verdrossenen und drogenabhängigen Rockstars, der er einmal werden sollte. Diesen Eindruck bestätigte MARKEY gegenüber dem Jounalisten DAVID BROWNE: “Diese Tour war für alle, die dabei waren, der letzte Moment der Unschuld”, sagt er in BROWNES Buch Goodbye 20th Century, das 2009 erschien.
Das restliche Material ist nicht minder interessant, zeigt es die einzelnen Protagonisten von einer Seite, die ich so noch gar nicht kannte. Besonders überrascht haben mich die Entertainer-Qualitäten THURSTON MOORES, den ich mir wesentlich ernster vorgestellt hatte. In MARKEYS Film dreht der SONIC-YOUTH-Sänger so richtig auf: Großartig die Szene, in der er, einem Prediger gleich, aus seinem Hotelfenster lehnt und Passanten (eine Mutter mit Kind) auffordert zu zeigen, dass sie Menschen sind und keine Enten. Oder die, in der er ein paar deutsche Punk-Kids fragt, was die Jugend machen soll, wenn die Industrie ihre Kultur monopolisiert. Als diese nur schüchtern die Augenbrauen hochziehen, dreht sich MOORE in die Kamera und sagt: „Ich denke, wir sollten den betrügerischen Kapitalismus zerstören, der die Jugendkultur zerstört durch Massenvermarktung und kommerzielle Paranoia-Manipulation. Als erstes müssen wir die Plattenfirmen zerstören“.
Eindrücke wie diese sind es, die den Film zu einem bedeutenden Zeugnis seiner Zeit machen. Wie keinem anderen ist es MARKEY gelungen, die letzten Augenblicke kurz vor dem weltweiten Erfolg von NIRVANAS zweitem Album Nevermind einzufangen.
Links: dave markeys tour-tagebuch