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THE HOLIDAY CROWD (LIVE) / DER ELEGANTE REST (LIVE) / YOSHI NAKAMOTO (DJ) / MONOPHONIC (DJ) / 18. MÄRZ 2013 / 19:30Uhr / MARIE ANTOINETTE

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//Review

Das Berliner Video-Projekt Videokills versteht sich als Plattform für internationale Videokunst. Am Mittwoch fand die fünften Ausgabe der Videokills-Reihe „The Explorer Series: Invisible City Symphonies“ im Marie Antoinette statt, in deren Rahmen Kurzfilme vertont werden.


Der Bogen 47 an der Jannowitzbrücke in Berlin-Mitte hat viele Gesichter. Das ganze Jahr über finden hier Firmenfeten, Hochzeiten und Record-Release-Partys statt. Die Privatveranstaltungen sind aber nicht alles: Der Bogen 47 beheimatet auch die stadtbekannte Musik-Venue Marie Antoinette.

Am Mittwoch flimmerten Stummfilme über die weißen Wänden des bogenförmigen Raums, unterlegt mit Livemusik. Anlass war die fünfte Ausgabe der Videokills-Reihe „The Explorer Series: Invisible City Symphonies“. Die New Yorker Videokünstlerin Julia Hurvich hatte MusikerInnen aus Berlin eingeladen, zeitgenössische Kurzfilme aus ihrer Sammlung zu vertonen.

Das Videokills-Projekt gibt es seit Februar 2009. Damals hatte Hurvich noch zwei Partnerinnen, Emma Pike und Tiphaine Shipman. Gemeinsam organisierten sie mehrere Kurzfilmabende und brachten ihr eigenes Video-Fanzine „The Postraum“ heraus. Videokills sollte eine Vernetzungs- und Ausstellungsplattform für internationale Videokunst sein. 2010 gingen Pike und Shipman zurück nach Australien, seitdem arbeitet Hurvich solo.

Auf sich allein gestellt entwickelte sie ein neues Konzept: Die Live-Vertonung von Kurzfilmen. Inspirieren ließ sie sich von dem russischen Stummfilm „Der Mann mit der Kamera“. Darin hielt der russische Regisseur Dziga Vertov das Leben einer sowjetischen Großstadt fest, es gab weder Handlung noch Schauspieler. Eine ähnlich experimentelle Reproduktion der Atmosphäre der Großstadt ist auch das Ziel der „Invisible City Symphonies“.

Im Juli 2010 fand die erste Ausgabe der Reihe in Brooklyn statt, es folgten Aufführungen in Barcelona und London. Dort arbeitete Hurvich immer mit MusikerInnen aus den jeweiligen Städten zusammen. Der Arbeitsprozess lief dabei jedes Mal gleich ab: Jedem Musiker, den Hurvich für geeignet hält, schickt sie eines ihrer Videos zu. Danach ist alles Vertrauenssache: „Ich höre mir die komponierten Stücke nie vorher an“, berichtet Hurvich. Das sei Teil des Konzepts. Böse Überraschungen habe sie bisher nicht erlebt.

Auch dieses Mal wurde Hurvich nicht enttäuscht. Der Berliner Musiker und Galerist Robin Löhr alias Black2 gab den Auftakt mit seiner Kollage verschiedener Samples selbst gespielter Klavierwerke, die er auf 20 Beats per Minute runterpitchte. Sein Stück komplementiere eindrucksvoll die Schwarz-Weiß-Aufnahmen des Videos „Berlin Found Footage“ der US-amerikanischen Künstlerin Jenna Levine. Den verschiedenen Sequenzen versuchte Löhr ein bestimmtes Sample zuzuordnen.

Eine andere Herangehensweise hatten Kathy Kwon und Molly Morgan. Den Ausgangspunkt ihres Beitrags bildete das Gedicht „On the Difficulty of Imaging an Ideal City“ des Schriftstellers George Perec. Dieses habe „perfekt“ zu dem Inhalt des Videos gepasst, in dem Coney Island zu sehen ist. Das Gedicht, das eine nüchterne Auflistung von verschiedenen Orten ist, an denen der Autor gern leben würde, versuchten sie mit einem „übertrieben sentimentalen“ Instrumentalstück zu kontrastieren. Die Darbietungen wurden durch das Ambiente des Raums hervorragend ergänzt.

(Fotos: Elizabeth Skadden)

Links: videokills / marie antoinette

//Portrait

Mit experimenteller Musik Geld zu verdienen, ist nicht einfach. Viele Konzerträume in Berlin machen daher bei der Planung ihres Programms einen großen Bogen um Bands, die mit ihrer Arbeit neue Klangräume erschließen. Seit 2007 gibt es in Berlin die Musikbar Madame Claude, die genau diesen MusikerInnen ein Zuhause bietet. Im Gespräch mit cartouche. berichteten die Barbetreiber, wie sie das Finanzierungsproblem lösten ohne dabei Kompromisse eingehen zu müssen.


„Wir spielen Musik, die sonst keiner will“, sagt Jean-Christophe Simon. Treffender hätte der französische Konzertveranstalter das Programm seiner Bar Madame Claude kaum beschreiben können. Gerade mal drei Jahre alt, ist die Bar mit ihrem Musikkeller nicht nur eine feste Größe in der Berliner Alternativ-Szene, sondern auch ein wichtiger Anlaufpunkte für experimentelle Musiker aus Amerika, Australien und Europa. Auf der Bühne der Bar, die sich in den Räumen eines ehemaligen Bordells in der Nähe des Schlesischen Tors befindet, stehen vor allem jene Bands, die für die größeren Konzerträume Berlins nicht kommerziell und bekannt genug sind.

Als Madame Claude im Februar 2008 öffnete, gab es in Berlin kaum legale Konzerträume für unkonventionelle Musik. Der Bastard und die zentrale Randlage waren seit Kurzem geschlossen, lediglich die Kollektive des Schokoladens und des West Germany interessierten sich für internationale KünstlerInnen aus experimentellen Stilrichtungen wie Drone, Noise oder Anti-Folk. Da sich Konzerte in Berlin erst ab 300 Zuschauern lohnen, ließen viele größere Lokale die Hände von Bands, die in der Stadt nicht weiter bekannt waren. Avantgardistisch zu sein brachte eben noch nie das große Geld. Dieses Problem lösten Simon und seine drei Mitstreiter Julien Bouille, Sebastien Becote und Sylvain Livache mit einem Konzept, das man unter anderem aus Berliner Hausprojekten und Galerien kennt: Mit den Einnahmen aus der Bar schafften sie die Grundlage für ihre Konzerte. „Das war in unseren Augen die einzige Möglichkeit, legal kleinere Bands nach Berlin zu holen“, berichtet Simon.

Die Idee ging auf. Inzwischen ist Madame Claude auch über die Grenzen Berlins hinaus bekannt. Angesagte KünstlerInnen wie die Berufsexzentrikerin Kevin Blechdom oder Animal-Collective-Gitarrist Deakin spielten in der Musikbar genauso wie viele kleinere Acts aus Australien, Italien oder Frankreich. In der Bar Madame Claude konnten sich die MusikerInnen sicher sein, auf ein größeres und aufgeschlossenes Publikum zu treffen, selbst wenn sie eine halbe Stunde lang nur einen einzigen Ton spielten. Inzwischen laufen pro Woche vier Konzerte mit anschließendem DJ-Set. Bouille, der für das Booking zuständig ist, bekommt pro Tag 20 bis 40 Konzertanfragen. Für die Konzerte gibt es keinen festen Preis. „Die Leute sollen zahlen, was sie können. Dafür bieten wir ihnen das Beste, was wir können“, erläutert Bouille.

Ende 2010 eröffnete das Kollektiv einen externen Konzertraum an der Jannowitz-Brücke: Marie Antoinette. Dort passen nicht nur mehr Leute rein, die Bands haben im Gegensatz zur Bar Madame Claude auch die Möglichkeit, ein Schlagzeug zu benutzen. Um den Raum zu finanzieren, wird er auch an Hochzeitsgesellschaften oder Tanzschulen vermietet. Im Marie Antoinette waren bereits die Lo-fi-Veteranen Owen Ashworth alias Casiotone for the Painfully alone und Ariel Pink zu Gast.

Durch ihre Arbeit haben sich Simon und seine drei Mitstreiter ein kleines Netzwerk aufgebaut. Zum einen sind sie mit den BetreiberInnen des West Germany, Antje Öklesund und Schokoladen befreundet, mit denen sie gemeinsam auf Konzerte gehen. Zum anderen zählen zum Freundeskreis des Kollektivs eine ganze Reihe von MusikerInnen, die schon öfter bei Madame Claude und Marie Antoinette gespielt haben. Die Noise-Popper von Ditto Destroyer, Velvet Condom oder Ania et le Programmeur sind gern gesehene Gäste und gehören zu den interessantesten Acts der Experimental-Szene. Einige Mitglieder dieser Bands arbeiten sogar in der Bar, putzen dort den Boden oder stehen hinterm Tresen, um sich für ihre Kunst etwas dazuzuverdienen. „Damit ermöglichen wir den Musikern, in Berlin zu bleiben und die Musik zu machen, die sie wollen“, resümiert Simon. So wird die Bar Madame Claude tatsächlich dem eigenen Anspruch gerecht: ein Zuhause für Musik zu sein, die sonst keiner will.

Links: madame claude / marie antoinette / west germany / schokoladen / antje öklesund / ditto destroyer / velvet condom / ania et le programmeur

(Fotos: JJ WEIHL / MADAME CLAUDE)


//Gespräche

Keine andere Stadt weist aktuell eine so hohe Dichte an relevanten Bands auf wie New York. Vor allem in Brooklyn sind neben größeren Acts wie Animal Collective oder LCD Soundsystem eine ganze Reihe kleiner Punk- und Folkbands wie Vivian Girls, Real Estate oder Woods zuhause. Zu den neuesten Errungenschaften der Szene zählt die Rock-Combo Babies, die von Woods-Gitarrist Kevin Morby und Vivian-Girls-Sängerin Cassie Ramone gegründet wurde. Am 24. März spielte die Band im Marie Antoinette und verriet im Gespräch mit cartouche., wie hohe Mieten die eigene Produktivität fördern können und wer die wichtigsten Akteure der DIY-Szene Brooklyns sind.

In seinem Song „Hard Times In New York Town“ thematisierte Bob Dylan einst sein zwiespältiges Verhältnis zu der amerikanischen Weltmetropole. Zum einen lobte er die Energie der Stadt, zum anderen monierte er den harten Alltag. Ihr wohnt alle in Brooklyn, wie würdet Ihr New York beschreiben?

Cassie: Ich sehe die Stadt ähnlich wie Dylan. New York ist großartig, aber das Leben dort ist sehr hart. Da die Mieten extrem teuer sind, ist man dazu gezwungen ständig produktiv zu sein. In anderen Städten reicht es aus, zwei Tage die Woche arbeiten zu gehen, um die Miete zahlen und sich etwas zu Essen kaufen zu können. In New York City geht das allerdings nicht. Erstaunlicherweise ist es genau das, was die Leute in die Stadt treibt. Viele entfalten unter dem finanziellen Druck erst ihr vollständiges künstlerisches Potenzial, weil sie gezwungen sind in jeden Bereich ihres Lebens kreativ zu sein. Mich persönlich motiviert die Stadt dazu, rauszugehen und Musik zu machen.

Kevin: Du kannst einfach nicht still zuhause sitzen bleiben. Wegen der hohen Mieten bist du dazu gezwungen, dein Leben ständig zu rechtfertigen und hast deshalb den Drang, immer etwas machen zu müssen. Wir haben zwei Monate in Kalifornien gelebt, wo alles viel billiger ist. Dort war es vollkommen okay, mal zuhause zu bleiben und sich zu entspannen. Wenn du das in New York machst, erklären dich die Leute für verrückt.

Ist es trotz des teuren Lebens möglich in Brooklyn von der Musik zu leben?

Cassie: Klar geht das. Man muss sich einfach nur reinhängen. Schau mich an: Mit dem Geld, dass ich mit meinen Musikprojekten verdiene, schaffe ich es problemlos, alle meine Rechnungen zu bezahlen. Zwar habe ich keinen extravaganten Lebensstil, schlecht geht es mir aber trotzdem nicht. Ich bin stolz darauf, mich nie verkaufen oder irgendwelche Kompromisse eingehen zu müssen.

Von außen betrachtet wirkt die Musikszene in Brooklyn sehr lebendig und gut vernetzt. Was ist euer Eindruck?

Cassie: Die Szene in Brooklyn wächst stetig. Widowspeak und Dutch Treat sind zwei neue aufregende Bands aus Brooklyn. Von Big Troubles, Nude Beach und K Holes ganz zu schweigen.

Kevin: Das schöne daran ist, dass fast alle miteinander befreundet sind. Der Bassist der K Holes und Cassie teilen sich ein Studio. Ich wiederum wohne mit unserem Produzenten Jarvis Taveniere zusammen. Jarvis hat außer dem Babies-Debüt auch die Platten der Vivian Girls, von Widowspeak, Real Estate und meiner anderen Band, den Woods, aufgenommen. Er ist ein integraler Bestandteil der Szene.

Wer ist sonst noch wichtig in der Szene?

Cassie: Todd P. ist eine weitere Schlüsselfigur in Brooklyn. Todd ist ein guter Freund von mir und hat sich als Konzert-Promoter einen Namen in der Szene gemacht. Trotz seines Erfolgs versucht er die Konzertpreise billig zu halten und engagiert sich für die Community. Viele Leute sagen: „Oh man, Todd P. kontrolliert alles“, dabei versucht er nur jeden dazu zu bringen das zu machen, was er macht. Er hat anderen Promotern auf die Beine geholfen, ich denke er macht einen guten Job in Brooklyn.

Welche sind die wichtigsten Spots in Brooklyn?

Kevin: Zentrale Clubs wären das Glasslands, Monster Island Basement, Death By Audio und das Market Hotel. Es gibt aber auch Lofts und Lagerhäuser, in denen es regelmäßig Shows gibt. Besonders oft laufen dort Houseparties.

Was sind „Houseparties“?

Kevin: Das sind kleine Gigs, die manchmal in normalen Wohnungen stattfinden und die verrückter und lockerer sind als normale Konzerte. Viele Bands nutzen die Auftritte auf diesen Parties, um runter zu kommen. Es ist genau dieser Vibe, den wir an Brooklyn so sehr mögen.

Links: the babies / woods / vivian girls / dutch treat / widowspeak

(FOTO: JJ WEIHL)